Es gibt über 300.000 Worte in der deutschen Sprache und wenn man nur lange genug darüber nachdenkt, kann man sicher mit den meisten von ihnen einen grammatikalisch korrekten Satz beginnen. Wie soll man sich da für eins entscheiden, das den eigenen Text eröffnet?
Letzte Woche haben wir über die gefürchtete Schreibblockade gesprochen und über Wege, sich selbst eine kleine Trittleiter zu bauen, um darüber zu klettern. Heute geht es um konkrete Schreibübungen, die ihr ausprobieren könnt, um einfach mal wieder loszulegen.
Ein Grund dafür, dass das leere, weiße Blatt vor einem oft so beängstigend scheint, ist die schier unendliche Fülle an Möglichkeiten, die sich einer schreibenden Person auftun. Manchmal können Einschränkungen der Schlüssel dafür sein, endlich anzufangen. Deshalb macht man Flashfiction oft mit Prompts, also Aufforderungen, oder besser noch, Einschränkungen.
Bei unserem Schreibwettbewerb haben wir bereits ein Thema vorgegeben, aber es gibt immer noch viele verschiedene Wege über die Zukunft zu schreiben. Sich selbst Regeln zu setzen, kann den Stress nehmen, den einen perfekten Ansatz zu finden. Plötzlich ist die Menge an Möglichkeiten begrenzt und manchmal scheinen die Vorgaben so restriktiv, dass man plötzlich nur noch eine einzige Chance sieht, daraus noch etwas Brauchbares zusammen zu formulieren. Ich habe hier eine Liste meiner liebsten Schreib-Prompts zusammengestellt, die alle den Text auf eine syntaktische, semantische, abstrakte oder konkrete Weise einschränken. Es gibt ganz unterschiedliche Präferenzen auf dem Spektrum von Freiheit und Beschränkung und man kann die folgenden Ideen wild miteinander kombinieren und natürlich auch immer abwandeln, um sie an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.
Schreibe einen Text, der die folgenden drei Worte beinhaltet oder als Motiv aufnimmt: Verrat, Pusteblume und Untermieter. Diese Worte sind natürlich willkürlich gewählt und sollten ausgetauscht werden. Sollten sich andere Menschen in unmittelbarer Umgebung befinden, empfiehlt es sich diese aufzufordern, das erste Wort zu äußern, das ihnen einfällt. Alternativ kannst du dir eine Zahl zwischen eins und 30 überlegen, das Lieblingsbuch auf einer zufälligen Seite öffnen und das erste Nomen auswählen, das sich in der jeweiligen Zeile befindet. Ansonsten gibt es im Internet eine Fülle an Wortgeneratoren.
Schreibe einen Text, der mit dem gleichen Satz beginnt und endet, wobei sich seine Bedeutung allerdings verändert. Der Vorteil von diesem Prompt ist, dass man eine schöne, runde Textstruktur genauso kostenlos mitgeliefert bekommt, wie die unvermeidliche Entwicklung, durch die geforderte Veränderung. Texte, die durch ein Motiv gerahmt werden, und Texte, in denen etwas passiert, sind häufig reizvoll zu lesen.
Schreibe einen Text, der genau 100 Worte enthält. Hier muss man plötzlich jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ist es notwendig? Oder streichen wir einfach den ganzen Satz? Dann hätten wir noch Platz für ein paar Adjektive am Ende. 100 Worte sind nicht viel und plötzlich merkt man, dass literarische Sätze ganz im Gegensatz zu den Lehren der Grundschule auch mal ohne Verben auskommen. Natürlich lässt sich dieser Prompt beliebig anpassen – die im Wettbewerb geforderten 6.000 bis 20.000 Zeichen sind in der deutschen Sprache durchschnittlich zum Beispiel ungefähr 2.000 Worte. Man kann, wenn man die Herausforderung sucht, aber natürlich auch mal versuchen eine genaue Anzahl Zeichen zu verwenden.
(In den meisten Textverarbeitungen, könnt ihr übrigens einen Textabschnitt einfach markieren und die Anzahl der Worte wird euch in der Leiste ganz unten links angezeigt. Um die Anzahl der Zeichen auszulesen, müsst ihr auf die dort angegebene Wortanzahl klicken und ein Pop-Up-Fenster mit den Informationen öffnet sich. Bei MS-Word könnt ihr auch unter ‚Überprüfen‘ auf ‚Wortanzahl‘ gehen. Bei LibreOffice findet sich der selbe Befehl wenn ihr unter ‚Extras‘ auf Wörterzählen‘ klickt.)
Schreibe einen Text aus der Perspektive eines Gegenstands. Hier kann man üben, neue Blickwinkel einzunehmen. Hat ein Gegenstand einen Charakter, eine Meinung, ein Motiv? Und woher ergibt sich dieses? Außerdem stellt sich die Frage, wie der Gegenstand die Welt wahrnimmt. Sind seine Sinne überhaupt mit unseren zu vergleichen? Kann ein Gegenstand in der Geschichte aktiv werden? Oder wird er nur durch andere Personen, Tiere oder Wetterphänomene bewegt? Die Personifikation von Dingen hat eine lange Geschichte in der Literatur und diese Übung führt einem vor Augen warum.
Schreibe einen Text, ohne visuelle Beschreibungen. Als Menschen verlassen wir uns oft auf unsere Augen, aber ein guter Text spricht alle Sinne an. Die meisten Adjektive beziehen sich auf sichtbare Eigenschaften, aber wie fühlt sich etwas an? Wie riecht, schmeckt oder klingt es?
Schreibe einen Text, in dem jeder Satz mit dem nächsten Buchstaben im Alphabet beginnt. Auch wenn dieser Prompt auf den ersten Blick schwierig umzusetzen scheint, kann die Einschränkung einem sehr dabei helfen, eine Geschichte voranzutreiben. Beim Impro-Theater wird diese Übung ebenfalls oft verwendet, um Szenen zu entwickeln. „C“ ist zum Beispiel kein besonders einfacher Buchstabe, da wenige deutsche Worte mit diesem beginnen. Daher kann er bei Bedarf auch übersprungen werden. Ebenfalls Buchstaben wie „Q“, „X“ und „Y“ sind von dieser erhöhten Schwierigkeit betroffen. Freilich, die Satzstruktur und Wortwahl leidet manchmal unter der Regel, aber lustig ist dieser Prompt definitiv! Ganz viel Erfolg!
Schreibe einen Text mit einem zufälligen ersten Satz. Wie kommt man auf diesen Satz? Man schlägt ein Buch auf und nimmt den ersten vollen Satz auf der Seite. Man nimmt den letzten grammatikalisch vollständigen Satz, den man per Textnachricht versendet hat. Man sucht sich einen anderen Menschen und fragt nach. Oder man nutzt einen Generator im Internet. Wenn man wirklich gar nicht damit anfangen will, kann man den Satz auch an einer anderen Stelle in den Text einbinden.
Schreibe eine Szene aus einem Film oder einer Serie als Text. Wenn ihr keine Ideen habt, aber Schreiben als Handwerk üben wollt, könnt ihr euch Plot, wörtliche Rede und Aussehen von Personen und Orten auch mal ausborgen. Kameras und Mikrofone fangen eine Unmenge an Informationen ein und ihr müsst entscheiden, was für den Leser wirklich wichtig ist, um die Szene zu verstehen, aber auch um ein Gefühl für die Situation mitzunehmen. In geschriebenen Texten ist außerdem Platz für innere Monologe, subjektive Interpretationen der Charaktere, Erinnerungen, Geruch, Geschmack und Sensorik. Diese Übung ist besonders lustig, wenn ihr sie in einer Gruppe macht und die Ergebnisse vergleicht – Schreibende setzen ihren Fokus immer anders.
Schreibe einen Text komplett ohne Adjektive und Adverbien. Ein großer Mensch ist ein Riese. Statt schnell zu laufen kann man rennen. Oft sind Adjektive und Adverbien nicht so notwendig, wie man im ersten Moment denkt und ein Text, der in weniger Worten mehr sagt, ist oft interessanter zu lesen.
Für noch mehr Ideen könnt ihr euch natürlich immer im Internet umgucken. Manchmal ist durch eine kleine Übung die Blockade gebrochen und danach läuft das Schreiben wieder ohne Probleme weiter. Auch wenn das Ergebnis von solchen Schreibübungen nicht immer direkt veröffentlichungswürdig ist, findet man in dem Prozess oft Ideen, die es irgendwann werden. Vielleicht ist es ein Satz mit cleverer Formulierung, ein Charakter mit interessanten Schwächen oder ein Konzept, dass einfach in einem 500 Seiten Roman erkundet werden muss – oder in einer Kurzgeschichte über die Zukunft.